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11 April 2015

Pflegende Angehörige kommen zu Wort

Frau R. erzählt dem ParkinsonFonds Deutschland von ihrem Mann, der 2003 die Diagnose Parkinson erhielt und den sie seitdem pflegt – und davon, wie sich ihr Leben verändert hat.

Die Rentnerin Frau R. hat uns kontaktiert, weil sie sich anderen Betroffenen mitteilen wollte. Sie bat jedoch, anonym zu bleiben, was wir selbstverständlich respektieren.
Mein Mann erhielt die Parkinson-Diagnose Mitte 2003. Er saß, mit dem Rücken ans Sofa gelehnt, auf dem Fußboden. In dieser Haltung hatte er längere Zeit ferngesehen. Er konnte nicht mehr aufstehen. Mit Mühe hat er sich dann bis ans Bett geschleppt, sich hineingelegt und auf den Arzt gewartet, der ihm dann eine Schmerzspritze gab. Ich sagte dem Arzt, dass eine Bekannte mir erzählt habe, sie hätte meinen Mann in einer komischen gebückten Haltung gesehen. Der Arzt machte mir ein Zeichen, nicht weiterzureden und bestellte meinen Mann für den nächsten Tag in seine Praxis. Er sagte meinem Mann, dass er eine Vermutung habe, um aber sicher zu gehen, müsse mein Mann zu einem Neurologen gehen. Ja, und da wurde dann Parkinson festgestellt.

Mein Mann hatte sehr oft schwere Alpträume…

Im Nachhinein denke ich, dass die Anfänge schon 1995 waren. Mein Mann hatte sehr oft schwere Alpträume: Hunde (welche er normalerweise sehr liebte), die ihn verfolgten. Oder es waren Ratten, Mäuse oder sonstiges Getier im Bett. Dann waren es Verfolgungsfahrten. Sie müssen wissen, dass mein Mann viele Jahre im Polizeidienst war, vielleicht deshalb diese Verfolgungen, die auch oft in Schießereien endeten. Ich weckte ihn immer aus diesen Träumen. Er erinnerte sich genau, was er geträumt hatte. Wir erzählten diese Vorkommnisse im Familien- und Freundeskreis und haben uns darüber lustig gemacht. Manchmal aber waren die Träume so heftig, dass mein Mann aus dem Bett fiel oder einige Schritte vom Bett weglief. Ich beobachtete ihn öfters beim Träumen. Er öffnete dabei die Augen und die Pupillen waren sehr klein – es sah unheimlich aus. Trotz geöffneter Augen hat er mich nicht gesehen.

Wir fuhren noch in den Urlaub…

Sonst war nichts Auffälliges. Wir fuhren noch in den Urlaub. Zum Skifahren oder nach Griechenland. Alles wie immer. Dann stand die Hochzeit unserer Nichte in Griechenland an. Es sollte eine Hochzeit auf dem Dorf sein. Ich lernte noch ein paar griechische Tänze. Das wollte mein Mann nicht mitmachen. Ungewöhnlich, da er sonst immer für was Neues oder Überraschungen zu haben war. Auf dieser Hochzeit, die sehr lustig und tanzfreudig war, hat mein Mann kein Bein bewegt, obwohl er von mehreren Damen zum Tanz aufgefordert wurde. Auf meine Frage, warum er so reagierte, meinte er nur: „Ich weiß es auch nicht.“

Wir sind viel Rad gefahren, aber das war nun vorbei…

Ich hatte mir ein neues Fahrrad gekauft. Mein Mann holte es im Geschäft ab. Er war fix und fertig, als er zu Hause ankam. Ihm war schwindelig und er war so unsicher beim Fahren, meinte er. Wir sind vorher viel Rad gefahren, aber das war nun vorbei. Er hat sich nie wieder auf ein Rad gesetzt. Schade für mich, weil ich dann alleine losfahren musste.

Für uns war Parkinson nur zittern…

Als mein Mann nach Hause kam und sagte: „Stell Dir vor, ich habe Parkinson!“, habe ich nur gesagt: „Na und, das kann ja nicht so schlimm sein, du zitterst ja gar nicht!“ Für uns war Parkinson nur zittern. Sonst wussten wir darüber nichts. Wir hatten einen Bekannten, der hatte das Zittern und von daher kannten wir nur diese Variante von Parkinson. Dieser Bekannte nahm Dopamin-Tabletten und hatte den „Parki“, wie er die Krankheit nannte, gut im Griff. Wir sagten uns, warten wir ab, was kommt. Mein Mann musste dann auch entsprechende Medikamente nehmen. Die nahm er selbst ein, besorgte neue Medikamente – ich hatte damit eigentlich zu der Zeit noch nichts zu tun.

Und doch war auf einmal alles anders…

Mein Mann beobachtete an sich auch keine Einschränkungen. Er fuhr Auto, ging die in die Sauna, zum Fußball, alles wie immer. Und doch war auf einmal alles anders. Beim Autofahren bemerkte ich kleine Unachtsamkeiten, er kam verspätet zu Verabredungen. Einmal wurde er mit dem Krankenwagen von der Sauna aus ins Krankenhaus gebracht, weil er angeblich im Schwitzraum zusammengebrochen sei. Was war geschehen? Die Parkinson-Medikamente machen ja bekanntlich müde, und so war er beim Saunagang eingeschlafen. Ich habe viel gelesen über Parkinson und so bemerkte ich immer mehr typische Ungereimtheiten. Mein Mann merkte das gottseidank auch sehr schnell.

Von heute auf morgen konnte er nichts mehr tragen…

Lobenswert war, dass er 2004 sein geliebtes Auto verkaufte. Mein Mann merkte selbst, dass es unverantwortlich ist, Auto zu fahren, wenn man Medikamente einnehmen muss, die so müde machen. Das war der ärgste Schritt für meinen Mann. Er fühlte sich ohne Auto wie amputiert. Jetzt musste alles zu Fuß erledigt werden. Die Krankheit nahm schleichend zu. Von heute auf morgen konnte er nichts mehr tragen. Er hatte keine Kraft mehr. Ich musste die Einkäufe allein bewältigen. Ich musste Bank-, Krankenkasse-, Amts- und Wohnungsgeschäfte erledigen. Damit hatte ich bisher nichts zu tun. Mein Mann hatte alles gemanagt. Das war für mich nicht einfach. Aber jetzt klappt alles.

Aber dennoch wagen wir 2009 eine Urlaubsreise nach Athen…

Immer öfter kamen Wahnvorstellungen: Da waren Soldaten, die im Krankenhausgang marschierten, dann saß jemand unter der Abdeckhaube eines Motorrollers oder es sitzt eine dritte Person mit in unserem Wohnzimmer. Mäuse, Ratten und Bienen sind in seinen Vorstellungen bei uns schon zu Hause. Das Laufen wird jetzt immer schwieriger. Es können nur noch kurze Wege bewältigt werden. Aber dennoch wagen wir 2009 eine Urlaubsreise nach Athen. Hier wohnt die Schwester meines Mannes. Er wollte seine Schwester sehen, vielleicht zum letzten Mal. Leider mussten wir den Urlaub abbrechen.

Jetzt mussten wir uns einen Rollstuhl anschaffen…

Mein Mann litt in Griechenland sehr unter zu niedrigem Blutdruck (60 – 45) und dazu kamen enorme Laufschwierigkeiten. So wurden wir vom ADAC vom Hotel in Griechenland bis in unsere Wohnung daheim ‚nottransportiert‘. Jetzt mussten wir uns einen Rollstuhl anschaffen. Da wir zu der Zeit in einer Wohnung im dritten Stock wohnten und das Treppensteigen nicht mehr ging, stand ein Wohnungswechsel an. Seit 2011 wohnen wir barrierefrei mit Aufzug, ebenerdiger Dusche und breiten Türen. Seitdem sitzt mein Mann nur noch im Rollstuhl, zu Hause und draußen. Es gibt Momente, wo er sich gut fühlt, dann üben wir, um sein Krankenbett zu laufen. Das ist für meinen Mann sehr schwer, aber auch für mich. Ich muss ihm ja immer schützend zur Seite stehen.

Alleine kann mein Mann nun fast gar nichts mehr tun…

Mein Mann ist 1,80 groß und wiegt 80 kg und ist somit zu schwer für mich, um ihn morgens aus dem Bett und abends ins Bett zu mobilisieren. Dafür kommt täglich der Pflegedienst – zusätzlich zweimal wöchentlich zum Duschen und Nassrasieren. Alleine kann mein Mann nun fast gar nichts mehr tun. Er wird zur Toilette gebracht, muss gewaschen werden, die Zähne müssen geputzt werden, an und ausgekleidet muss er werden und nachts werden Schutzhosen benötigt. Essen wird mundgerecht angereicht. Trinktassen müssen gefüllt und auch angereicht werden. Mein Mann ist schon stolz, dass er das mundgerechte Essen noch alleine zum Mund führen kann. Bei all den Unzulänglichkeiten fragt er sich immer wieder: „Warum lebe ich noch, was soll ich noch hier?“.

Am meisten und besten hilft natürlich Zuspruch…

Medikamente und die Krankengymnastik helfen, die Symptome meines Mannes zu lindern. Am meisten und besten hilft natürlich Zuspruch. Wenn ich z.B. durch die Wohnung tanze, singe oder Musik-CDs vorspiele, seine Hände halte, ihn streichle oder sage, dass ich für ihn da bin in ‚guten wie in schlechten Zeiten‘. Wenn das Wetter es zulässt, gehe ich jeden Nachmittag mit ihm in die Stadt. Zwar immer nur dieselben Straßenzüge und immer in das gleiche Eiscafé zum Kaffeetrinken. Aber ich denke, das lenkt auch etwas ab, um nicht immer nur zu grübeln und zu trauern. Wenn es auch nur Träume sind, planen wir schon mal einen Urlaub, oder einen Besuch bei Verwandten. Leider wohnen unsere Verwandten alle in Griechenland, Schweiz, Frankreich und dem Saarland. Also für uns unerreichbar.

Ich suche und finde Kraft im Gebet…

Jeden Donnerstag kommen im Wechsel zwei Betreuerinnen, damit ich einmal drei Stunden entspannen könnte. Aber was tue ich dann: ich mache dringende Besorgungen, gehe zum Arzt, oder gehe ohne Hetze einkaufen. Meinem Mann geht es in der Zwischenzeit nicht sonderlich gut, da er sehr unruhig, oft weinerlich, manchmal aggressiv ist, Verlustängste hat, wodurch ich dann auch wiederum beunruhigt bin. Wenn ich dann nach Hause komme, muss ich meinen Mann zuerst mal wieder aufbauen. Für mich wäre eine tolle Unterstützung, wenn ich einmal 2 – 3 Wochen mit meinem Mann Urlaub machen könnte. Er wird versorgt und ich tue mal nichts. Im Moment suche und finde ich Kraft im Gebet. Lachen Sie nicht. Es beruhigt mich. Das ist ausschlaggebend.

Ich habe eine Schwester, die Großeinkäufe für uns erledigt…

Selbsthilfegruppen sind, glaube ich, für mich nicht hilfreich. Dreimal habe ich eine Selbsthilfegruppe besucht. Beim 1. Mal war ein Vortrag und Filmvorführung über den Hirnschrittmacher. Das war sehr lehrreich. Leider kommt das für meinen Mann nicht in Frage, da er laut Uni-Klinik-Professor dafür nicht geeignet ist. Die anderen beiden Male dachte ich, so krank wie die Menschen hier ist dein Mann gar nicht. Das war, als wir die Diagnose kaum erhalten hatten. Und wie schon erwähnt, wohnen unsere Verwandten alle in der Ferne. Ich habe eine Schwester, die Großeinkäufe für uns erledigt. Die kommt, wenn Not am Mann ist, aber mit Pflege oder Betreuung meines Mannes überfordert wäre. Freunde machen sich rar. Ich muss aber dazu sagen, dass unsere Freunde und Bekannten alle in unserem Alter sind, so zwischen 70 – 75. Da hat jeder sein Wehwehchen. Eine Cousine besucht uns jede Woche, damit ich den Wocheneinkauf erledigen kann. Sie kommt gut mit meinem Mann zurecht.

Ich erhoffe mir, dass man feststellen kann, wodurch Parkinson entsteht…

Ich finde es gut, dass die Parkinson-Forschung unterstützt wird, so wie es der ParkinsonFonds Deutschland tut. Ich weiß nicht, in welchem Maß unser Staat sich an diesen Forschungen finanziell beteiligt. Ich glaube, zu wenig. Eigentlich müsste bei der Rüstung abgebaut werden, um nicht nur die Parkinson-Forschung, sondern noch weitere Krankheitsforschungen zu unterstützen. Ich erhoffe mir, dass man feststellen kann, wodurch Parkinson entsteht, und dass man früh genug gezielt etwas dagegen unternehmen kann. Ich glaube nicht, dass, wenn man jetzt etwas finden würde, mein Mann davon noch ‚profitieren‘ könnte. Dafür ist seine Krankheit wohl zu weit fortgeschritten.

Bei einem parkinsonkranken Menschen müssen Sie sich üben in Geduld, Geduld, Geduld …

Mein Ratschlag für pflegende Angehörige ist, Geduld mit dem lieben Kranken üben.
Eine indische Ordenskrankenschwester sagte mal zu mir: „Bei einem parkinsonkranken Menschen müssen Sie sich üben in Geduld, Geduld, Geduld, Geduld, Geduld, Geduld, …“. Ich unterbrach die Schwester nach dem vielleicht 10ten Geduld mit den Worten: „Ja, ist ja schon gut!“. Da meinte sie: „Sehen Sie, Sie haben keine Geduld.“ Das stimmt, manchmal wird man sehr ungeduldig.
Das ist jetzt nur ein Bruchteil dessen, was ich noch sagen könnte über Pflege, Krankheiten (Lungenentzündung), Krankenhausaufenthalte (bei denen ich immer als Begleitperson miteingeliefert wurde); oder über die Unkenntnis der Mitmenschen über diese Krankheit (hatte ich ja auch vor der Erkrankung meines Mannes, aber von pflegenden Personen hätte ich mehr erwartet); oder darüber, wenn meine Mann plötzlich nicht mehr weiß, wo er ist, wer ich bin, oder im Geschäft oder auf der Straße anfängt zu schreien oder um sich schlägt; oder über seine großen Ängste, die ihn dazu bewegen, sich überall festzuklammern,…

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