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11 Dezember 2019

Eine Weihnachtsgeschichte

Der Großvater von Yvette van der Meer, Redakteurin des Newsletters des ParkinsonFonds, war Parkinson-Patient.
Sie teilt mit uns eine Kindheitserinnerung an das letzte Weihnachtsfest, das sie mit ihrem Großvater feiern konnte.

„Eine Rückblende in die frühen 80er Jahre und in die Wohnung meiner Großeltern Harry und Von in Amsterdam. Stellen wir uns die Küche vor, wo sich Großvater am liebsten aufhielt. Ich habe noch immer das Bild vor mir, wie Großvater für seine scharfe Sambalsoße, die er in Marmeladegläsern gerne an Freunde und Verwandte verschenkte, rote Paprika in einem Mörser aus grauem Granit zerdrückt. Er liebte es, den Duft der auf dem Herd köchelnden Speisen einzuatmen und aus den Töpfen zu kosten. Jeder, der wollte, durfte auch probieren.

“Zum Glück spiegelten aber seine Augen noch immer seine Gefühle wider.”

Im Wohnzimmer stand immer eine Schale mit indonesischen Pasteten auf dem Heizofen. So hatten sie immer die richtige Verzehrtemperatur und Opa und Oma – oder etwaige Gäste – hatten immer einen Snack zur Hand. Essen war Großvaters liebstes Hobby, und doch hatte er kein Gramm Übergewicht. Wenn ich zurückblicke, scheint es fast so, als wäre er mehr damit beschäftigt gewesen, anderen die Teller zu füllen als selbst zu essen. Mein Großvater Harry weilt nun seit mehr als 30 Jahren nicht mehr unter uns. Er erlebte zwar seinen 75. Geburtstag noch, doch die letzten Jahre seines Lebens litt er unter Parkinson. Sein Zustand verschlechterte sich innerhalb kürzester Zeit zusehens.

Normalerweise unternahm er jeden Tag Spaziergänge – immer gepflegt mit Hut und Spazierstock – doch aufgrund der sich häufenden Momente des Eingefrorenseins wurden daraus zuletzt nur noch Minitrips durch die Wohnung. Seine Füße blieben oft am Boden kleben, dabei zitterten seine Beine stark. Das machte ihn immer sehr zornig. Er fühlte sich machtlos und schämte sich vor anderen Leuten. Da er von Beruf technischer Zeichner war, malte und zeichnete er gerne. Doch leider konnte er diesen Hobbys bald nicht mehr nachgehen. Oft war er unglücklich, doch die mit Parkinson assoziierten starren Gesichtszüge machten es uns mitunter schwer, zu erkennen, ob er an etwas Freude hatte. Zum Glück spiegelten aber seine Augen noch immer seine Gefühle wider. Seine Enkel machten ihn immer glücklich: Allein ihre Anwesenheit oder wenn sie gute Noten nach Hause brachten. Ich erinnere mich sehr gerne an das letzte Weihnachtsfest, das Großvater genießen konnte: Ein großer Teil unserer Familie war bei meinen Großeltern zu Besuch. Solche Zusammenkünfte waren immer zwanglos. Es gab keine Tradition, die verlangte, den ganzen Abend an einem gedeckten Tisch sitzen zu müssen, vielmehr ähnelte das ganze Haus eher einem indonesischen Wochenmarkt. Die Besucher bedienten sich aus den Töpfen vom Herd, aus angerichteten Serviertellern auf Esstheke, Esstisch, Couchtisch, Beistelltischen und sogar vom Fensterbrett. Es wurde mit dem Teller auf dem Schoß gegessen, keiner blieb länger an einem Ort sitzen und jeder kam mit jedem in Kontakt. Das war perfekt für meinen Großvater. Er selbst hatte seinen festen Platz in einer Sofaecke.

“Da er von Beruf technischer Zeichner war, malte und zeichnete er gerne.”

Dank eines Stehtischs und mit unserer Hilfe konnte er dort essen. Viele Gerichte von der Reistafel bestanden aus kleinen Fleischwürfeln, die stundenlang geköchelt hatten. Opa musste daher kein Fleisch zerschneiden. Und dank der Gewürze genoss er sie auch. Denn leider hatte sich sein Geschmacksinn verändert, und er meinte eine Zeitlang, alles schmecke nach Karton. Nichts konnte für einen Feinschmecker wie ihn frustrierender sein. Nacheinander setzten wir uns neben Großvater und unterhielten uns leise mit ihm. Heute verstehe ich, dass all das Geschnatter im Haus wohl überaus ermüdend für ihn gewesen sein muss. Doch er genoss die Atmosphäre. Opa fragte nicht viel und war immer weniger aktiv. Wir bemühten uns alle, ihm zu helfen und hörten auf unsere Intuition, die uns sagte, was wir tun sollten, um ihn glücklicher oder sein Leben angenehmer zu machen.

Heute, da ich im Namen des ParkinsonFonds viel mit Parkinson-Patienten, mit Forschern und anderen Experten in Kontakt komme, weiß ich, dass wir zum Glück oft das Richtige getan haben. Ich freue mich, dass heute so viel mehr Wissen um die Krankheit existiert. Die Wissenschaft hat in den letzten 31 Jahren große Fortschritte verzeichnet. Und ich begrüße sehr, dass weitere Forschung möglich gemacht wird, dank der sich das tägliche Leben der Betroffenen sehr viel erträglicher gestalten lässt, als dies bei meinem Großvater noch der Fall war.

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