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24 März 2014

Interview mit Brigitte Schmidt

Brigitte Schmidt erhielt vor acht Jahren die Diagnose „Parkinson“.

Sie spricht ganz offen über die schwerwiegenden Folgen dieser Krankheit.
Nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihr Umfeld.

„Es gibt einfach zwei Brigitten;
der einen geht es gut – die andere ist krank.“ 

 

Was waren bei Ihnen die ersten Anzeichen für eine Parkinson-Erkrankung?

„Ich hatte einen seltsamen Gang und hielt meinen linken Arm beim Zähneputzen immer gebogen vor meinen Körper. Im Nachhinein betrachtet waren das die ersten Anzeichen. Nach der Geburt meiner jüngsten Tochter hatte ich immer noch Beschwerden beim Gehen. Ich konnte meinen Rhythmus nicht mehr finden. Mensendieck und Physiotherapie halfen nicht; ich rutschte in eine postnatale Depression. Damals arbeitete ich im Jobsharing als Chefsekretärin bei einer Bank. Ich bin eine Perfektionistin, aber die Kombination aus Arbeit, Familie mit zwei Kindern und körperlichen Beschwerden konnte ich nicht mehr schaffen. Ich war nervös und machte mir ständig Sorgen über all das, was noch zu geschehen hatte. Ich wurde krankgeschrieben und tat alles, um wieder gesund zu werden: Chiropraktik, spezielle Hormontabletten, Haptonomie. Nach etwa einem Jahr waren die schlimmsten Ermüdungserscheinungen und die ärgsten Depressionen verschwunden. Ich hatte aber weiterhin eine komische Gangart und bekam Gleichgewichtsstörungen. Mein Neurologe diagnostizierte einen Morbus Parkinson. Als dieser nichts mehr für mich tun konnte, wurde ich an eine Fachärztin verwiesen. Eine absolute Expertin auf ihrem Gebiet und unwahrscheinlich engagiert. Sie suchte nach der für mich optimalen Medikamentenzusammenstellung. Bislang habe ich aber immer noch Aussetzer zwischen den Medikamenteneinnahmen – das sind also vier Aussetzer pro Tag. Sie sind viel kürzer als am Anfang meiner Krankheit, aber sie sind heftig.“

Wie fühlt sich ein solcher Aussetzer an, was passiert?

„Man fühlt, wie man wegsackt. Wird immer müder und alles, was man tut, kostet mehr Energie. Die Koordination meiner Hände verschlechtert enorm; ich habe zwar Muskelkraft, aber keine Kontrolle. Wenn ich etwas irgendwo hinlege, blockiere sofort. Ich kann mich dann nicht bewegen und muss hin und her schaukeln, um mich zu lockern, um die Blockade zu lösen. Nach einiger Zeit kann man ungefähr selbst entscheiden beziehungsweise timen, wann der Aussetzer kommt. Aber man hat es nicht ganz unter Kontrolle, manchmal passiert es einfach so, besonders wenn Stress hinzukommt. Mir bleibt dann nichts anderes übrig als zu warten, bis die Medikamente wieder anfangen zu wirken. Ohne diese Präparate könnte ich wirklich keinen einzigen Meter mehr gehen. Meine Beine gehorchen mir nicht, weil sie keine oder nur undeutliche Signale vom Gehirn erhalten. Ich weiß dann nicht mehr, mit welchem Bein ich anfangen soll und kippe vornüber. Medikamente für die Nacht habe ich noch nicht, aber wenn ich zur Toilette will, muss ich kriechen.”

Welche emotionalen Auswirkungen hat Parkinson auf Sie?

“Sehr, sehr viele. Doch nicht nur auf mich, sondern auf meine ganze Familie. Ich spreche viel undeutlicher als zuvor, und wenn ich einen Aussetzer habe, wird es noch schlimmer. Es gibt sehr viele Dinge, die ich gern sagen würde, aber ich bringe es einfach nicht raus. Ich bin sehr viel emotionaler geworden, kann wegen jeder Kleinigkeit anfangen zu weinen. Außerdem bin ich sehr unsicher. Wenn etwas innerhalb einer bestimmten Frist erledigt sein muss, bekomme ich totalen Stress – und damit mehr Parkinsonbeschwerden. Und ich schäme mich, wenn ich zum Beispiel auf einer Feier bin und etwas umwerfe oder beim Aufstehen hinfalle. Wenn ich zu Hause bin und aufstehen will, muss ich erst drei Mal auf und ab federn, bevor es mir gelingt, hochzukommen.
Ich will auf gar keinen Fall mit solchen Dingen auffallen, deshalb bin ich auch verhältnismäßig schweigsam. Neulich war ich auf einem Treffen mit ehemaligen Arbeitskollegen. Ich sah viele bekannte Gesichter und zu gern hätte ich mit dem einen oder anderen Kollegen geredet. Aber vor lauter Aufregung konnte ich keinen vernünftigen Satz herausbringen. Ich hätte heulen können. In solchen Situationen fühle ich mich sehr einsam.”

Wie gehen Sie damit um?

„Wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin, versuche ich, mich so gut wie möglich zusammenzureißen. In meinem Freundeskreis wissen lange nicht alle, wie es wirklich ist, wenn man an Parkinson leidet. Seit Januar habe ich eine Levodopa-Pumpe, damit ist man innerhalb von 10 Minuten wieder auf dem Damm. Das funktioniert jedoch nicht immer. Irgendwann ist Schluss und der Körper will einfach nicht mehr gehorchen.
Es gibt schlicht und ergreifend zwei Brigitten: Der einen Brigitte geht es gut, die andere ist krank. Wenn ich Aussetzer habe, bin ich niedergeschlagen und wütend. Mir ist bewusst, dass ich es mir selbst damit nicht gerade leichter mache, aber es fällt mir unheimlich schwer, dass ich nicht mehr tun kann, was ich will.
Als Mutter fühle ich mich oft schuldig. Wenn ich wieder einmal nicht mitkommen kann, um mich von den Kindern zu verabschieden, wenn sie auf Klassenfahrt gehen oder bei Sportveranstaltungen nicht auf der Tribüne sitzen kann. Die Schulzeit der Kinder geht eigentlich ein wenig an mir vorbei. Meine Spontaneität verschwindet langsam. Ich reagiere zum Beispiel nicht mehr so begeistert auf gute Nachrichten. Der Grund ist die Krankheit, aber auch die Medikamente mit ihren ganzen Nebenwirkungen tragen dazu bei. Dadurch ändert sich auch die Beziehung zu meinem Mann: vom Freund zum Pfleger. Fred ist sehr bodenständig und tut, als würde alles gut werden. Ich glaube, das ist seine Art, die Dinge zu verarbeiten. Auch die Kinder durchleben alles auf ihre ganz eigene Art und Weise. Jetzt kommen sie in ein Alter, wo sie immer mehr ihren eigenen Weg gehen – allerdings werden sie auch gezwungen, selbst Dinge zu unternehmen. Wenn ich zum Arzt muss, gibt es – über Lauras Schule – immer einige liebe Mütter, die bereit sind, sie zu betreuen. Total nett.
An die Zukunft denke ich lieber nicht so oft. Parkinson ist eine fortschreitende Erkrankung. Wenn ich sehe, in welcher Verfassung ich jetzt im Vergleich zu vorigem Jahr bin, stimmt mich das nicht gerade fröhlich. Nach meinem Gefühl geht es wirklich schnell bergab.“

Vielen herzlichen Dank für Ihre Offenheit. Ihre Geschichte wird vielen Patienten und deren Familien helfen.

„Ich hoffe sehr, dass meine Geschichte nützlich ist. Ich möchte die Menschen gern wissen lassen, was die Parkinson-Krankheit für Patienten und deren Familien bedeutet. Dass man nicht als Idiot abgestempelt wird, wenn man beim Gemüsehändler kaum ‚Zwei Schalen Erdbeeren bitte’ rausbringen kann. Dass die Leute einen nicht schief ansehen, wenn man mit dem Elektromobil Besorgungen macht und am nächsten Tag ohne Hilfsmittel durchs Dorf spaziert. Parkinson hat nun einmal zwei Gesichter, es ist halt nicht anders.”
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